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INTERNALIZED CAPITALISM

APRIL 2024


Vor kurzem fragte mich ein Freund: "Vanessa, do you think you work hard?" Ich hielt kurz inne und antwortete ihm dann mit einem breiten Lächeln: "No, I work soft!"


Über die Unterhaltung, die danach folgte, habe ich seither immer wieder nachgedacht. Diese Frage, ob ich hart arbeiten würde, löste etwas in mir aus. Ich merkte, es fühlte sich nicht richtig an, zu sagen, ich arbeite HART. Was heisst das schon? Natürlich wissen wir alle, was damit gemeint ist. Hart arbeiten heisst wohl vor allem viel arbeiten. Für mich klingt HART aber nach mühsam, anstrengend, schwierig, fast zwanghaft. HART arbeiten impliziert für mich, dass man immer wieder seine eigenen Kapazitäten überschreiten muss. Deswegen fand ich SOFT passender. Ich arbeite mal mehr, mal weniger. Am liebsten mit Leichtigkeit, Freiheit, Freude und Flow. Ohne Zwang, ohne Druck, mit viel Flexibilität. Und wenn immer möglich mit Rücksichtnahme auf mein Befinden und meine Ressourcen. That's how I personally feel and work best. Typisch Gen Y haha!

 

In einer stark kapitalistischen Gesellschaft ist "working hard" zu einer wahren Tugend geworden. Nur wer hart arbeitet, verdient Lob und Anerkennung, die Beförderung oder die Lohnerhöhung. Das heisst heutzutage auch, immer erreichbar zu sein, immer mehr und immer schneller liefern zu müssen, mehr Druck aushalten zu müssen. Das verlangt von immer mehr Menschen, dass sie über ihre eigenen Kapazitäten hinausgehen und die Bedürfnisse des Körpers, Geistes und der Seele hinten anstellen oder sie schlicht nicht mehr spüren, was irgendwann dazu führt, dass sie ausbrennen - Burnout!

 

Für mich war schon früh im Leben klar, ich möchte arbeiten, um zu LEBEN und nicht leben, um zu arbeiten. Und ja, ich bin mir absolut bewusst, dass ich hier von einer unglaublich privilegierten Ausgangslage spreche. Für ganz viele Menschen, there is no choice here. Aber auch für ganz viele schon. Die Rebellin in mir wollte nicht mitmachen in diesem Ratrace und so habe ich mir ein Leben und Arbeiten mit viel Freiraum erschaffen, in dem ich meinen Bedürfnissen gerecht werden kann z.B. nicht früh aufstehen zu müssen und mehr Freizeit zu haben für Dinge, die mir Freude machen, Menschen, Erholung und Integration. Und ja, das ist immer ein Trade-off. Zeit ist Geld - oder eben kein Geld. Und obwohl ich mich bewusst dafür entschieden habe, holen mich immer wieder Selbstzweifel ein: Bin ich zu faul? Verplämperle ich meine Zeit? Leiste ich zu wenig? Müsste ich schneller mehr erreichen? Ist das, was ich mache, gut genug? Müsste ich nicht viel mehr verdienen?

Doch woher kommen diese Gedanken? Woher kommt das Schuldgefühl, wenn ich mal einen ganzen Tag vor mich hin trödle und nichts "produktives" tue? Und warum hinterfrage ich dann gleich meinen Wert als Mensch?

 

Als ich dann vor ein paar Monaten den Begriff INTERNALISIERTER KAPITALISMUS hörte, machte vieles Sinn. Es bedeutet, dass wir gelernt haben, unseren (Selbst-)wert an unsere Leistung zu knüpfen. Je mehr du leistest, je produktiver du bist, je härter du arbeitest, um so mehr wirst du anerkannt, respektiert, gelobt, geschätzt, geliebt. Je härter du dich pushst, um so mehr Geld, Güter, Likes und Followers kriegst du. Doch wo führt uns das hin? Und was sind die wahren Gründe unseres Handelns? Sind wir wirklich so motiviert und passioniert, dass wir nonstop arbeiten wollen oder steckt dahinter auch irgendwo ein verletzter Anteil, der sich einfach so sehr nach Anerkennung und Liebe sehnt? Oder irgendjemandem etwas beweisen muss?

 

Und wenn wir mal nicht (genug) leisten - wer sind wir dann? Wer sind wir, wenn wir unsere Tun-Identität ablegen? Ist das SEIN nicht genug? Ist WIE wir SIND nicht genug? Müssen wir immer TUN?

 

Natürlich gibt es hier wie bei allem die beiden Seiten: Arbeit gibt uns einen Purpose, eine Möglichkeit unsere Energie, unsere Fähigkeiten und Talente sowie unser Herzblut irgendwo reinzustecken. Sie gibt uns Sicherheit und Stabilität, vielleicht Inspiration und Ansporn. Sie fordert uns heraus und erlaubt uns so zu wachsen. Und auf der anderen Seite kann arbeiten auch eine Flucht sein, ein Verdrängungsmechanismus, eine Komplexbewältigungsstrategie, eine Ablenkung von anderen Dingen im Leben. Ein endloses Suhlen nach mehr. Ein Fass ohne Boden, das uns bis in die totale Erschöpfung treiben kann.

 

Lasst uns also die Dogmen der Leistungsgesellschaft hinterfragen. Lasst uns Ruhe, Erholung, unproduktives Sein und Selbstfürsorge nicht mehr als unwichtig und sekundär betrachten. Die Natur zeigt es uns vor - ein Viertel des Jahres wird geruht, verarbeitet, integriert, erholt. Let's do it like nature teaches us und machen wir Faulenzen salonfähig. Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der niemand mehr HART arbeiten muss, sondern eine innere und äussere Kultur, in der das Wohlergehen des Individuums an erster Stelle steht.

 

In a fast-paced capitalist society, slowness and rest are a form of activism.

 

Was sind deine Gedanken dazu?


Much Love,

Vanessa

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